Jetzt ist klar: David Haye hat mehr Dynamit auf der Zunge als in den Fäusten. Wladimir Klitschko gewinnt den Krieg im Ring. Nicht hoch überlegen, aber klar verdient.
Der Himmel scheint vor dem Kampf schon mehr zu wissen über das Schicksal von David Haye (30) an diesem Abend. Dunkle Wolken umhüllen die HSV-Arena in Hamburg, der Wahlheit von Wladimir Klitschko
(35). Es regnet. Trotzdem sind über 40 000 Fans gekommen. Ein Drittel davon Engländer. Sie sind so laut, dass Haye in der Höhle des Löwen ein Heimspiel hat. Noch weiss der Brite nicht, dass ihm das
nichts nützen wird.
David Haye, dieser Provokateur, mit Traumkörper, respektloser Rüpel und Selbstvermarkter. Er lässt alle warten, kommt verspätet aus der Garderobe. Fortsetzung seines Psycho-Kriegs,
den er seit zwei Jahren gegen Klitschko führt. Doch so gross seine Klappe ist, so klein wirkt er unmittelbar vor Kampfbeginn im Angesicht seines Gegners, der sieben Zentimeter grösser ist und auf ihn
herabschaut.
Wladimir Klitschko, gekränkt und angefressen von den vielen Sticheleien im Vorfeld des Kampfes, von Fotos mit abgetrennten Köpfen, verbalen Tiefschlägen, den gellenden Pfiffen der
englischen Fans. Doch er zeigt in diesem Moment keine Verachtung, keine Angst. Er scheint bereits in einem anderen Seelenzustand zu schweben. Mitten im Kampf. Im Kampf um die Krone im Schwergewicht.
Das Publikum um ihn herum aber kocht und stampft. Wladimirs älterer Bruder tigert herum. Aus Vitalis Augen blitzt die Besorgnis. «Es ist unendlich schwieriger zuzuschauen, als selber
zu boxen», sagt er.
Die Glocke und los gehts. Man hört die dumpfen Schritte, das Quietschen der Schuhe, den scharfstössigen Atem der Boxer. Beide beginnen aggressiv. Wladimir, praktisch aufrecht, macht
Tempo. Er setzt auf seine Führhand, sie kommt schnell, kerzengerade, mit einer Wucht, die man ausserhalb des Ringes kaum sieht,
dafür hört.
Haye macht sich klein, jeder seiner Muskeln ist angespannt, wie bei einer Raubkatze, die gleich zum Sprung ansetzen wird. Er lauert, zappelt, weiss, dass die beeindruckende
Schnelligkeit sein wirkungsvollstes Argument ist: reinspringen, treffen, zurückschnellen. Und er springt immer wieder in den ersten Runden. Und kehrt jeweils grinsend in seine Ecke zurück. Für ihn
ist das ein ziemlich guter Anfang.
Beide Boxer treffen, sind brandgefährlich. Es ist ein Kampf mit Zündstoff. Sogar die Pausen sind voller Dynamit. Hier die Crew um Haye, die um ihren Champ herumwuselt, ihn
volllabert. Da Vitali, der seinem Bruder Ratschläge an den Kopf schreit. Fraglich, wie viel sich ein Boxer tatsächlich merken kann in solchen Momenten voller Adrenalin. Was beide Kämpfer bestimmt
verstanden haben: Der Kampf ist auf Messers Schneide.
Der Himmel rumort. Man riecht den Schweiss. Bemerkt plötzlich, wie sich der Kampfrhythmus ändert. Das Stampfen der Fans, das Kreischen der Betreuer, Klitschko wird immer besser, Haye
scheint müde zu werden, rutscht immer wieder aus. Oder geht er freiwillig auf die Knie?
Ab Runde 7 ist die Box-Sensation kaum mehr möglich. Haye verliert seine grösste Waffe, die Schnelligkeit. Klitschko wird immer selbstsicherer. Er hat ihn, das weiss er bereits. Doch
zu viel riskieren will der Ukrainer nicht, kann er nicht. So muss er am Ende über die volle Distanz von zwölf Runden. Es wird ihn nicht stören. Er hat Haye das Maul gestopft, ihn als Weltmeister
entthront. Nun besitzen die Klitschkos alle vier bedeutenden Titel im Schwergewicht. Sie sind am Ziel ihrer sportlichen Träume.
Erschienen im Sonntagsblick vom 3. Juli 2011 / Patrick Mäder
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