Anthony Joshua mischt das Schwergewichtsboxen auf. Er will die Klitschko-Aera endgültig beenden.


WM-Gürtel statt Fussfessel

Wer ist dieser Prachtskerl, der alle seine 18 bisherigen Profikämpfe vorzeitig beendet hat und im April Wladimir Klitschko zum WM-Tanz vor 90'000 Fans bittet?
Anthony Joshuas Bilanz ist so makellos wie sein durchtrainierter Körper. 18 Kämpfe, 18 Siege, 18 Knockouts. Vor einer Woche vermöbelte der Engländer den bedauernswerten Eric Molina aus den USA. Nun aber sind die leichten Nächte für den IBF-Weltmeister definitiv vorbei. Es wird ernst, und das ist gut so. Sein nächster Gegner heisst Wladimir Klitschko, der Dominator der letzten Jahre im Schwergewicht. Und der Ukrainer brennt auf Wiedergut-machung, seit er vor über einem Jahr von Joshuas Landsmann Tyson Fury entthront und übel gedemütigt wurde.
Über 90'000 Zuschauer sollen am 29. April 2017 im Londoner Wembley-Stadion Platz finden. Promoter Eddie Hearn rechnet zudem mit 1,5 Millionen Pay-per-View-Verkäufen. «Das ist ein einzigartiger Kampf – zwei Olympiasieger, zwei Kämpfer in unterschiedlichen Phasen ihrer Karriere», schwärmt Hearn. «Das wird mein grösster Kampf überhaupt», sagt Klitschko. Und Joshua: «Das ist ein Heimspiel, ich wohne ja grad um die Ecke des Wembleys.»
Kampf auf Augenhöhe
Joshua gegen Klitschko. Beide 1,98 Meter gross. Beides Model-Athleten. Ein Kampf auf Augenhöhe. Ein Kampf der Generationen. Klitschko, 40-jährig, mit seiner vielleicht letzten Chance. Joshua, 27, hungrig auf Erfolge und grosse Kämpfe. Nach Klitschko will er dann auch WBC-Champion Deontay Wilder packen, um sich dann als unbestrittener Weltmeister aller Verbände die Krone aufzusetzen und König des Schwergewichts werden.
Vor ein paar Jahren noch waren solche Ambitionen völlig undenkbar. Joshua war auf der schiefen Bahn. Als Teenager hing der Sohn nigerianischer Eltern die meiste Zeit in Londoner Hostels herum, wo er mit Kumpels Ärger suchte. Ein Verwandter brachte ihn 2008 zum Boxen, wo er lernen sollte, mit seinen Aggressionen umzugehen. Das schien nicht zu klappen. Joshua wurde mehrmals verhaftet, bekam gar eine Fussfessel verpasst.
Da hat es doch noch Klick gemacht. Joshua erkannte, dass Boxen seine Chance ist. «Auf einmal war Disziplin gefragt, ich hatte einen geordneten Tagesablauf.» Sein Talent war riesig, die Entwicklung rasant, der Erfolg schnell da. Erwurde ins britische Olympia-Team berufen.
Da kam der nächste Tiefschlag. Die Polizei fand Cannabis in seiner Sporttasche. Joshua wurde vom Verband gesperrt und zu 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit verdonnert.
Weil er sich gut hielt, bekam er noch eine Chance, seine letzte. Die nutzte er. Er durfte 2012 doch noch an den Olympischen Spielen teilnehmen und bedankte sich mit der Gold-medaille. Über Nacht wurde er zum Liebling der Engländer. Das ist er immer noch. Er hat seine Vergangenheit abgestreift, tritt höflich auf und smart. Nur nicht im Ring, da kennt er kein Pardon.
Werbung fürs Boxen
Da glänzt er mit guten Händen, schnellen Beinen und einer fürchterlichen Rechten. Vieles, was ihn stark macht, hat er seinem nächsten Gegner abgeschaut. Als Klitschko sich auf den Kampf gegen Kubrat Pulew vorbereitete, war Joshua sein Sparringspartner. Die beiden sind Freunde geblieben, respektieren sich, wollen beide ihren Sport gut repräsentieren und verzichten auf wüste Provokationen, wie man sie von Boxern wie Haye, Fury oder Chisora kennt. Über 90 000 Fans, weltweites Medieninteresse und zwei starke Gegner mit Anstand: beste Werbung für den Boxsport.
Der Zuschauer-Weltrekord bleibt unerreicht. Der Mexikaner Julio Cesar Chavez verteidigte 1993 seinen Titel im Juniorwelter gegen Greg Haugen vor 132 274 Fans im Aztekenstadion in Mexiko-Stadt. Ebenfalls über 100'000 Zuschauer kamen 1934 auf die Sandbahn in Hamburg-Lokstedt. Max Schmeling besiegte Walter Neusel im bisher grössten Boxkampf der europäischen Geschichte.

Erschienen im Sonntagsblick vom 18. Dezember 2016 / Patrick Mäder

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