Vitali Klitschko verteidigte am 12. Dezember 2009 in Bern seinen WM-Titel gegen Kevin Johnson. Es war
sein einziger Kampf in der Schweiz. Im Interview vor dem Kampf
sprach er über seine Kämpfe und seine Gegner – im Ring und im Leben.
Herr Klitschko, mögen Sie Kevin Johnson?
Wenn er eine Frau wäre, dann könnte ich diese Frage beantworten. Aber für Johnson als Mann habe ich keinerlei Emotionen.
Er hat Sie an der Pressekonferenz letzte Woche zum Lachen gebracht. Das ist eine Emotion.
Das war ein ironisches Lachen. Weil er sehr laut, sehr viel und selbstbewusst geredet hat. Und weil er meinen WM-Gürtel berührte, als würde der bald ihm gehören. Von mir aus kann er den Gürtel
anschauen und streicheln. Mehr erlaube ich nicht.
Lassen Sie sich mit 38 noch von grossen Sprüchen vor einem Kampf beeindrucken?
Ich habe schon 40 Kämpfe gemacht und die Sprüche so vieler Gegner gehört. Es ist schwierig, mich noch zu überraschen. Normalerweise machen diejenigen Sprüche, die im Ring nichts zu bieten haben.
Die starken Jungs haben das nicht nötig.
Kevin Johnson hat also nichts zu bieten?
Ich habe in seinen Augen gesehen, dass er selbstbewusst ist. Er ist psychisch stark. Ich habe auch Kämpfe von ihm gesehen. Technisch hat er einiges zu bieten. Der Kampf wird für mich nicht
einfach, das steht fest.
Sie sind der Champ, sind in blendender Form. Johnson hat keine Erfahrung in grossen Kämpfen, keine Power in den Fäusten...
Wenn ich so denken würde, dann stünde ich auf dünnem Eis. Das wäre gefährlich. Bei uns gibt es ein russisches Sprichwort: «Tapferkeit lässt Mauern fallen.» Mit Mut und Können kann man fast alles
erreichen.
Johnson ist überzeugt, dass er gewinnt.
Ich spüre, dass er keinen Respekt vor Klitschko hat. Er ist als
Gegner eine harte Nuss.
Sie sind bereits 38 und haben schon so viel erlebt. Haben Sie diese Show-Einlagen an Pressekonferenzen noch nicht satt?
Nein, das ist keine Show. Der psychische Krieg zwischen uns hat angefangen. Die erste Runde ging unentschieden aus.
Sie haben so viel erreicht. Was motiviert Sie, weiterzuboxen?
Ich bin körperlich fit und träume von etwas Grossem. Etwas, das noch keiner gemacht hat.
Im Boxsport?
Ja, aber keine Angst, ich möchte auf keinen Fall den Rekord von George Foreman brechen, der mit 45 noch mal Weltmeister wurde. Etwas anderes treibt mich an.
Was?
Ich verrate das erst zur gegebenen Zeit. Nur so viel: Das wird eine grosse Geschichte.
Wir sind gespannt. Eine grosse Geschichte war auch das Handgemenge kürzlich im Stadtparlament von Kiew, in das Sie sich einliessen. Was war da los?
Es ging um die Abschaffung eines Anti-Korruptions-Artikels. Um viel Geld, das einige korrupte Politiker sich über Mehrheiten im Parlament beschaffen wollten. Es gab Tumulte. Ich war allein gegen
viele, durfte aber natürlich meine körperliche Kraft nicht benutzen.
Was löste die Tumulte aus?
Meine Kritik an der Korruption. Ich verstehe mich zwar als Weltbürger, aber meine Wurzeln werde ich nie verleugnen. Ich wünsche meinem Land, der Ukraine, den Lebensstandard anderer europäischer
Länder. Wir haben alle Möglichkeiten, aber nutzen sie nicht.
Weil die Korruption die Entwicklung stoppt.
Ja. Für mich ist es peinlich zu lesen, dass die Ukraine zu den korruptesten Ländern der Welt gehört. Es gibt viele politische Skandale. Die Wirtschaft funktioniert nicht. Wir wollen dieses System
ändern. Deswegen bin ich politisch engagiert.
Wie schwierig ist es, als Boxer in der Politik ernst genommen zu werden?
Ich bedanke mich bei jedem, der mich nicht ernst nimmt. So macht es mir erst richtig Spass. Ich brauche meinen Kopf nicht zum Hinhalten, sondern zum Denken. Ich habe zum Glück noch alle Tassen im
Schrank.
Haben Sie ein politisches Vorbild?
Winston Churchill. Und Bill Clinton kenne ich persönlich. Vorbild ist vielleicht das falsche Wort. Aber als Politiker und als charismatischen Menschen respektiere ich ihn sehr.
Sie setzen sich für die einfachen Leute in Ihrem Land ein, sind selber aber ein reicher Weltbürger. Kennen Sie denn die Sorgen der Menschen auf Kiews Strassen?
Ich fühle mich zwar in Los Angeles und Hamburg zu Hause, aber die meiste Zeit verbringe ich in Kiew. Ich kenne die Probleme der dortigen Bevölkerung sehr gut und spiele mich nicht als Star auf.
Was sind die Hauptprobleme?
Bei uns gilt: «Hast du Geld, bist du der König der Welt.» Fast alle sind käuflich. Richter, Politiker, Journalisten. Schauen Sie ins Gesicht unseres Präsidenten, dann wissen Sie, mit welchen
Mitteln bei uns gearbeitet wird. Dagegen anzukämpfen ist gefährlich.
Sie sollten diesen Kampf sofort beenden. Sie sind in Gefahr.
Das sagt meine Frau auch. Sie findet, ich solle doch das Leben geniessen.
Warum tun Sie es nicht?
Ich kann doch nicht einfach tatenlos zuschauen, was mit meinem Land passiert. Wer seine Wurzeln vergisst, hat keine Zukunft. Ich liebe mein Land, meine Familie, meine Eltern. Ich kann und will
nicht alle mitnehmen und komplett nach Los Angeles oder Hamburg umziehen, wo das Leben gut ist. Ich will, dass es auch in der Ukraine gut wird. Das ist mein Ziel.
Sie sind Box-Weltmeister, Politiker und engagieren sich in karitativen Projekten. Sind Sie auch ein guter Familienvater?
Ein schlechter. Das grösste Problem ist die Zeit. Ich gebe meinen Kindern zwar die beste Ausbildung. Sie sprechen drei Sprachen, üben verschiedene Sportarten aus, aber ich kann ihnen damit
den Vater nicht ersetzen. Das Problem ist die Zeit, die mir fehlt. Zum Glück habe ich eine wunderbare Frau, die alles zusammenhält.
Ihr Vater war General, ein Mann mit Prinzipien. Wie streng sind Sie zu Ihren Kindern?
Ja, mein Vater war sehr streng. Bei uns ging es zu und her wie in der Armee. Eiserne Disziplin. Ich war nicht immer glücklich damit, aber ich bin sehr dankbar. Diese Form der Erziehung hat
mich weit gebracht. Trotzdem bin ich viel weicher zu meinen Kindern, als mein Vater zu uns war.
Ist Ihre Familie zufrieden, dass Sie immer noch boxen?
Meine Frau und meine Mutter sind nicht glücklich, mein Vater sagt, ich soll weitermachen.
Ihrer Mutter haben Sie versprochen, nie gegen Bruder Wladimir zu kämpfen. Bleibts dabei?
Nichts ist unmöglich.
Ist das eine Ansage?
Wer weiss? Im Moment kann ich mir diesen Kampf nicht vorstellen. Boxen ist ein dramatischer Sport. Du musst deinen Gegner ausknocken, bewusstlos schlagen. Erstens liebe ich meinen Bruder.
Zweitens wäre er als Gegner verdammt gefährlich.
Ihre Mutter hätte bestimmt keine Freude. Und Ihre Frau?
Ich weiss nicht. Meine Frau ist bei allen Kämpfen dabei. Das passt mir nicht, weil mich das zusätzlich psychisch belastet. Aber gäbe ich ihr keine Eintrittskarten, würde sie diese selbst
kaufen.
Warum tut sie sich das an?
Sie sagt, sie könne mit dieser Anspannung nicht alleine zu Hause vor dem Fernseher sitzen.
Schauen die Kinder auch zu?
Nein. Der Älteste hat sich mal auf «youtube» eine Sequenz angesehen. Es war nichts Besonderes. Er ist kein Box-Fan.
Sind Sie froh?
Ja, denn dieser Sport ist hartes Brot. Ich wünsche mir nicht, dass meine Kinder Boxer werden. Aber sie müssen auf jeden Fall Sport machen. Würden Sie sich doch fürs Boxen entscheiden, dann
könnten sie auf meine volle Unterstützung zählen.
Boxer, Politiker, Familienvater: In welcher Rolle sehen Sie sich am liebsten?
Ich will einfach jede Herausforderung annehmen und beweisen, dass ich gut bin, besser als die anderen.
In welcher Rolle fühlen Sie sich glücklich?
Es geht nicht darum, dass ich über meine Tür ein Schild hängen kann, auf dem Bürgermeister steht. Das ist nicht mein Ziel. Das Resultat ist das Ziel. Wenn ich meinem Land, meiner Heimatstadt
dienen und wichtige Veränderungen mit anschieben kann, dann bin ich glücklich.
Wie wichtig ist Ihnen der Weltmeister-Gürtel?
Der Gürtel ist nur ein Symbol in diesem Spiel. Aber alle schauen drauf: die Boxer, die Fans, das Fernsehen. Also ist er wichtig.
2005 traten Sie wegen verschiedensten schweren Verletzungen als Boxer zurück. Warum sind Sie 2008 zurückgekommen?
Weil ich wieder gesund war und mich gut fühlte.
Vielen Ex-Boxern fehlt das Rampenlicht. Wie war das bei Ihnen?
Es ist schön, im Rampenlicht zu stehen. Aber ich bin nicht süchtig danach. Denn es kann auch eine Belastung sein. Ab und zu habe ich die Schnauze voll davon, stets präsent zu sein und mich
mit allen gut zu stellen. Das ist nicht immer einfach.
Wie wichtig ist Ihnen Geld? Die Zeitung «Bild» schrieb, dass Sie 7 Millionen Euro pro Kampf kassieren?
Blödsinn. Die Zahl stimmt nicht. Geld ist für mich niemals die Motivation, sondern nur das Resultat meines Erfolgs. Geld ist wichtig, aber nicht alles.
Könnten wir einen Zeitsprung zurück machen: Hätte Klitschko eine Chance gegen einen Frazier, Norton oder Ali in Hochform?
Es wäre superinteressant, das herauszufinden. Diese Gedankenspiele kann man machen. Antworten darauf gibts leider nur in Computer-Games.
Welcher Boxer hat Sie inspiriert?
Ich erinnere mich, dass ich mit Schulkameraden einst Ausschnitte eines Tyson-Kampfes anschaute. Wie er als jüngster Schwergewichts-Weltmeister den Gürtel hoch hielt. Ich wusste: Eines Tages
werde ich Tyson schlagen und ihm diesen Gürtel abnehmen. Eine Vorstellung, die mich enorm motivierte. Doch meine Freunde lachten mich aus.
Sie haben es allen gezeigt.
Ja, und ich bin nachtragend. Ich lud die Jungs 15 Jahre später zum Abendessen ein, brachte den Gürtel mit – genau den, welcher Tyson damals in die Höhe streckte. Ich stellte ihn auf den Tisch
und fragte: «Und Jungs? Erinnert ihr euch an den Abend vor 15 Jahren?»
Hats gut getan?
Ja, mir machts Spass, den Leuten das Gegenteil zu beweisen. Nur schade, dass es nie zum Duell gegen Tyson kam.
Im Gegensatz zu Tyson sind Sie immer noch im Geschäft. Was erwarten Sie von den Fans in Bern?
Die Fans müssen etwas von mir erwarten. Ich will, dass die Emotionen überspringen. Der 12. Dezember 2009 soll den Menschen in Erinnerung bleiben: als Abend der grossen Emotionen.
Kommentar schreiben