Deontay Wilder Portrait, Januar 2015


Wird er der neue Mike Tyson?

Dieser Mann ist eine Box-Sensation. Jeder seiner bisherigen Fights ein Spektakel. 32 Profikämpfe, 32 Siege, 32 Knockouts. Deontay Wilder ist die grosse amerikanische Hoffnung.
Deontay Wilder ist 29 Jahre alt, 2,01 Meter gross, ein muskelbepackter Topathlet, eine K.-o.-Maschine und US-Amerikaner. Keiner seiner Gegner hat es gegen ihn in die 5. Runde geschafft. Kein Wunder, träumt man in den USA wieder von den ganz grossen Zeiten der Amerikaner im Schwergewicht. Nach sieben Jahren ohne Titel in der Königsklasse könnte wieder ein US-Boxer einen WM-Gürtel nach Hause bringen.
Es ist der Gürtel der WBC, den Vitali Klitschko mit seinem Karriereende abgegeben hatte. Der Kanadier Bermane Stiverne (36) schnappte ihn sich und wird am 17. Januar von Deontay Wilder herausgefordert. Der Sieger aus diesem Duell wird sich dann im Frühjahr wohl mit Superchampion Wladimir Klitschko messen dürfen, der alle anderen wichtigen WM-Gürtel im Schwergewicht besitzt.
Für Wilder soll der 17. Januar der Tag seines Durchbruchs werden und der Tag, an dem er das Versprechen einlöst, Boxweltmeister zu werden, das er seiner Tochter gegeben hat. «Ich habe keine Zweifel, dass ich als Weltmeister den Ring verlassen werde.»
Wilder war 19, als Tochter Naieya mit einem «Offenen Rücken» zur Welt kam. Die Ärzte erklärten ihm, dass sie nie wird gehen können. Um die teure medizinische Behandlung zu finanzieren, verliess Deontay das College, wo er bis dahin von einer grossen Karriere als Footballer oder Basketballer träumte, von einem unbeschwerten Leben in Luxus und im Glück.
Plötzlich war alles anders. Deontay verdingte sich als Lastwagenfahrer bei einer Bier-Firma und als Aushilfe in einem Restaurant. Bis zu dem Tag, als er zu Hause in Tuscaloosa, Alabama, in ein Gym spazierte und sich entschied, Boxer zu werden.
Akribisch fing er an zu trainieren. Drei Jahre später gewann er bei Olympia 2008 in Peking die Bronzemedaille. Und nun steht er vor dem grossen Coup. Er würde jetzt nicht um den WM-Titel kämpfen, sagt der «Bronze Bomber», wäre da nicht Naieya, dieses Geschenk Gottes. «Ohne ihre Geburt und ihr Schicksal wäre ich nie Boxer geworden.»
Das Schicksal der Tochter beflügelt ihn, macht ihn stark wie ein Stier: Wilder schlägt zu, unerbittlich, pfeilschnell, mit der Linken wie mit der Rechten. Der Mann hat Dynamit in den Fäusten. «Ich werde nicht für Überzeit bezahlt», sagt er auf seine 18 Erstrunden-Knockouts angesprochen. «Warum also soll ich meine Gegner nicht schnellstmöglich niederschlagen?» Seine Worte sind roh und hart wie seine Hiebe, aber er spricht sie ganz sanft aus mit geschmeidiger, leiser Stimme.
Evander Holyfield war der letzte der ganz grossen Schwergewichtler aus den USA, dem Mutterland des Boxens. Doch seine Blütezeit ist schon fast 20 Jahre her. Noch länger her sind die spektakulären Zeiten von Mike Tyson. Shannon Briggs war der letzte US-Champion im Schwergewicht. Das war 2007. Heute spielt Briggs als irrer Stalker von Wladimir Klitschko den nervenden Clown und führt ein grosses Maul. Über Deontay Wilder spöttelt er: «Beyonce Wilder? Er tritt nur gegen Flaschen an.»
Das ist natürlich plumpe Provokation und dumbe Box-Rhetorik eines Ex-Stars, der noch mal einen heissen Kampf und an die grosse Börse will, trotzdem stellt Briggs eine noch unbeantwortete Frage: Wie gut ist Deontay Wilder wirklich?
Tatsache ist, dass die Gegner des Amerikaners bisher keine grossen Nummern waren. Tatsache ist, dass er defensiv Schwächen zeigt, dass er keine Erfahrung in langen Kämpfen hat und auch in der Offensive trotz enormer Schlagkraft technische Mängel aufweist. Tatsache ist auch, dass der Vergleich mit Tyson, den einige Fans bereits heranziehen, zu diesem Zeitpunkt noch fehl am Platz ist. Verliert Wilder den Kampf am 17. Januar gegen Don-King-Schützling Stiverne, könnte er rasch von der Bildfläche verschwinden. Gewinnt er ihn, würde er ganz Amerika in Schwingung versetzen und dem Schwergewichtsboxen neuen Schwung verleihen.
Die MGM Grand Garden Arena in Las Vegas hat eine lange Boxtradition. Die Tyson-Fights in den Neunzigern waren ein Publikumsrenner. Doch in den letzten Jahren interessierte sich hier niemand mehr fürs Schwergewichtsboxen. Der Name Klitschko zieht hier nicht, steht für Monotonie, für Langeweile. Und US-Schwergewichte waren keine da, welche die Hoffnungen erfüllten. Für den Kampf Stiverne gegen Wilder gibts nun endlich wieder Aufbruchstimmung.
Der Ticket-Verkauf läuft gut. Der Premium-Sender Showtime überträgt live. Und beide Boxer sind Knockout-Könige, versprechen Spektakel. Die USA sind in Erwartung und was wäre das für eine Geschichte: Deontay Wilders Tochter Naieya, die auch sein grösster Fan ist, kann inzwischen laufen. Und sie hat noch weitere negative Prognosen der Ärzte widerlegt. Jetzt muss der Papa nur noch sein Versprechen einlösen.

Erschienen im Sonntagsblick vom 4. Januar 2015, Patrick Mäder

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